Die Hansmann-Chronik
Unterm Krummstab ist gut leben
So sagt ein altes Sprichwort, das ausdrücken will, daß die Abhängigkeit der Bauern vom Kloster besser zu ertragen war als andere Abhängigkeiten. Aber einfach war das Leben für die Bauern in Gliesmarode nicht. Sie besaßen zwar die Äcker und Wiesen, die die Vorfahren gerodet und hergerichtet hatten, aber der Wald, den sie einst rodeten, galt als Eigentum des Grafen. Darum waren die Bauern dem Grundherren dienstpflichtig. Dazu hatten die Bauern den Zehnten ihres Einkommens an die Kirche zu zahlen. Das war ursprünglich die Pfarre Atzum, vom Jahre 1031 an die Pfarre St. Magni in Brusnwiek und von 1226 an das Kloster Riddagshausen.
Das Kloster wurde immer mehr zum Herrn in Gliesmarode. Außer dem Zehnten erwarb das Kloster das Recht auf die Grundherrendienste und erhielt schließlich auch Grundstücke in Gliesmarode. So konnte es vorkommen, daß ein Bauer dem Kloster dreifach verpflichtet war: mit der Pacht, dem Zehnten und dem Grundherrendienst. Schließlich hatte das Kloster auch noch das Untergericht in Gliesmarode, das sich so in totaler Abhängigkeit vom Kloster befand.
Der erste Grundstückserwerb des Klosters in Gliesmarode fand schon im Jahre 1161 statt. Vom Herzog Heinrich dem Löwen tauschte das Kloster in Gliesmarode 3,5 Hufe ein und erhielt 5 weitere Hufe geschenkt (1 Hufe sind ca. 8 ha Land. Als eine Hufe galt das mit einem Tier in 30 Tagen umgepflügte Land - 30 Morgen. Davon konnte eine Familie leben). Nach weiteren Landerwerbungen errichtete das Kloster im Jahre 1226, als es auch die Pfarrechte für Gliesmarode erwarb, eine Grangie, d.h. einen Klosterhof in Gliesmarode. Solche Klosterhöfe wurden von einem Laienbruder des Klosters verwaltet, beherbergten Fremde und sollten von Frauen nicht betreten werden. Über Lage und Ausstattung dieses Hofes in Gliesmarode ist mir nichts bekannt. Vielleicht hat die Mühle am Karl-Hintze-Weg, die 1546 erstmals erwähnt wird und noch in diesem Jahrhundert in Betrieb war, zu diesem Klosterhof gehört. Ohne das Kloster hätte eine Mühle hier kaum existieren können. Die Einwohner der Stadt Braunschweig durften nur in den Mühlen der Stadt mahlen - für die Stadt eine wichtige Gebührenquelle.
Im Jahr 1500 bestand dieser Klosterhof noch. Damals wurde er für 2000 Gulden von der Grundherrschaft des Herzogs befreit. 1546 war der Hof schon aufgelöst. Aus seinem Besitz wurden drei Ackerhöfe mit je 3,5 Hufen gebildet, die vom Kloster verpachtet wurden. Auch die Kothöfe sind vermutlich aus dem Klosterhof hervorgegangen.
Der Umfang der Abhängigkeit Gliesmarodes läßt sich aus dem Riddagshäuser Kopialbuch (nach 1671) ersehen: Dem Kloster gehörte das ganze Dorf, es nahm den Zehnten von den Garben und vom Fleisch ein, den Zins von Hof, Acker, Wiesr und Garten in Höhe von 57 Talern, 7 Groschen. Die Ackerleute hatten wöchentlich einmal Spanndienste zu leisten, d.h. sie mußten mit einem Gespann für das Kloster arbeiten. Die Kotsassen hatten ohne Gespann zweimal in der Woche für das Kloster zu arbeiten ("Handdienste"). Außerdem hatte das Kloster Jagd- und Weiderechte in Gliesmarode. Der Umfang dieser Arbeiten hat sich im Laufe der Zeit geändert, aber das Ende dieser Abhängigkeiten kam erst im vorigen Jahrhundert.
1834 wurde durch ein herzogliches Gesetz die Ablösung aller herrschaftlichen Dienste und Abgaben bestimmt, ein Jahr später die Befugnis zur Separation gewährt. Dadurch konnte der bis dahin gemeinsam genutzte Grund und Boden unter den Berechtigten aufgeteilt werden und die einzelnen Flurwannen zu größeren Ackerplänen zusammengelegt werden. Die Durchführung dieser Erlasse dauerte Jahrzehnte, in Gliesmarode kam die letzte Kostenabrechnung 1869: 23 Grundbesitzer hatten 2.763 Taler, 24 Groschen und 5 Pfennige aufzubringen. Die Bauern mußten beim herzoglichen Leihhaus Schulden aufnehmen, aber sie wurden nun endlich zu uneingeschränkten Besitzern ihrer Höfe, deren größe durch die Separation zunahm. Der allgemeine Viehaustrieb unterblieb, der Viehbestand in den Ställen wurde erweitert. Durch den größeren Anfall von Stallmist und Einsatz von Kunstdünger steigerten sich die Ernteerträge auf mehr als das Doppelte.
Lange hat die positive Entwicklung der Landwirtschaft nicht angehalten. Schon im 19. Jahrhundert setzte die Verstädterung des Dorfes ein. Die meisten ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen wurden zu Bauland. Heute ist von einer blühenden Landwirtschaft in Gliesmarode kaum noch etwas zu sehen.
|