Die Hansmann-Chronik
Im Schatten der Landwehr
Einst hatten die Gliesmaroder nicht nur Schwierigkeiten, weil sie vom Kloster Riddagshausen abhängig waren oder weil der Boden nur kümmerliche Erträge gab, sondern vor allem weil das Dorf unmittelbar vor der Landwehr der Stadt Braunschweig lag. Wiederholt wurde es bei den Auseinandersetzungen zwischen dem Herzog von Wolfenbüttel und der Stadt Braunschweig geplündert, abgebrannt und verwüstet. 1492 und 1550 geschah es durch die Truppen des Herzogs, 1600, 1602 und 1606 durch die Braunschweiger. Die Einwohner waren schließlich so arm dran, daß der Herzog Heinrich Julius ihnen im Jahre 1607 eine öffentliche Sammlung zum Wiederaufbau ihrer Höfe gestattete - diesmal waren es ja die bösen Braunschweiger, die das Dorf zerstört hatten! Auch der 30-jährige Krieg ging nicht spurlos am Dorf vorbei.
Im 14. Jahrhundert wurde die Landwehr von der Stadt Braunschweig angelegt. Sie bestand aus einem Erdwall zwischen zwei wassergefüllten Gräben, der mit dornigem Buschwerk dicht bewachsen war. Im Osten Braunschweigs verlief die Landwehr von Rühme kommend zwischen Mittelriede und Wabe im Gliesmaroder Gebiet und dann westlich vom Kloster Riddagshausen bis zum Schöppenstedter Turm. Während die Landwehr z.T. 7 km vom Stadtmittelpunkt entfernt war, waren es von Gliesmarode aus nur 3 km. Bei der Anlage der Landwehr wurden die Feldmarken der Dörfer rücksichtslos durchschnitten, so daß die Bauern auf beiden Seiten der Befestigung ihrer Arbeit nachgehen mußten.
Eigentlich hatte die Landwehr keine militärische Bedeutung. Sie schützte die Stadt vor unerwünschtem Gesindel und vor Viehdiebstählen auf den Weiden der Stadt. Sie hielt auch beutemachende Söldnertruppen von der Stadt fern - Gliesmarode dagegen hatte solchen Schutz nicht. Die Landwehr bezeichnete schließlich auch die Grenze der Stadt Braunschweig: von hier ab wurde es ernst bei kriegerischen Auseinandersetzungen.
Im Gliesmaroder Gebiet wurde die Landwehr von der Altmärkischen Straße gekreuzt. Sie führte vom Fallersleber Tor zum Gliesmaroder Turm, von dort über die heutige Querumer Straße in Richtung Dibbesdorf und weiter in Richtung Wolfsburg. Die Straße diente vorwiegend dem Handel mit ländlichen Produkten - Vieh, Korn usw. Im Mittelalter war sie nicht fest ausgebaut, sondern bestand aus einem Sandweg, der sich in einem jämmerlichen Zustand befand. Die schlimmsten Löcher wurden mit Dornengestrüpp ausgefüllt, das regelmäßig von der Landwehr abgeschnitten werden mußte. Über das Gestrüpp wurde etwas Erde getan. Ein Weg, der mit Bohlen ausgebaut oder gar mit Steinen gepflastert war, war selten. Die Wagener und Schmiede wollten ja auch leben. Zu den berüchtigten schlechten Wegstellen der altmärkischen Straße gehörte auch der "Steinweg vor Gliesmarode" - vermutlich die Steinbrücke vor dem Gliesmaroder Turm.
Über die Wasserläufe waren feste Brücken gebaut. Diese gehörten nicht dem örtlichen Grundherren, sondern waren reichsunmittelbar. Darum fanden auf ihnen auch gerichtliche Verhandlungen statt. Auch auf der Steinbrücke vor dem Gliesmaroder Turm haben des öfteren Verhandlungen stattgefunden, bei denen es meistens um Jagdstreitigkeiten ging.
Zur Sicherung der Landwehr an der Kreuzung mit der altmärkischen Straße wurde schon im 14. Jahrhundert der Gliesmaroder Turm erbaut. Leider ist unbekannt, wie er einmal ausgesehen hat. Er ging zum ersten Mal in Flammen auf, als Herzog Heinrich der Ältere am 6. September 1492 mit seinen Truppen durch die Landwehren von Gliesmarode und Rühme in das Stadtgebiet Braunschweigs eindrang, um die Stadt im Sturm zu nehmen. Letzteres gelang ihm zwar nicht, aber mit der Zerstörung des Gliesmaroder Turms wurde den Braunschweigern doch Schaden zugefügt, denn er lag im Stadtgebiet auf der Ottenroder Flur. Der Turm unterstand wie die Landwehr den Landwehrvögten, die für die Unterhaltung der Anlagen sorgen mußten. Noch im Jahr 1595 gab es einen städtischen Reiter auf dem Marstall, der den Auftrag hatte, ständig die Landwehren zu kontrollieren.
Neben den Landwehrtürmen gab es von Anfang an schon Gastwirtschaften. Die Gaststätte "Gliesmaroder Turm" könnte also ihr 600-jähriges Bestehen feiern! Die Krüger hatten Speise und Trank für die Durchreisenden bereitzuhalten. Sie übten auch hoheitliche Funktionen aus und waren darum vom Rat der Stadt vereidigt worden. Sie sollten die Landwehren beobachten, nachts die Schlagbäume geschlossen halten (ach, wenn es das doch heute noch gäbe!), in Krisensituationen auch am Tage. Verdächtiges Volk durfte nicht eingelassen werden. Sollten die Krüger sich anbahnende Anschläge gegen die Stadt beobachten, hatten sie es sofort dem Rat zu melden, und wenn es mitten in der Nacht wäre.
Nach dem Mittelalter verloren die Landwehren allmählich an Bedeutung. 1763 wurde das Grundstück Gliesmaroder Turm veräußert und ging in Privatbesitz über. Nur der Schlagbaum blieb noch lange erhalten. Dort wurde Chausseegeld eingenommen. Für jedes angespannte Zugtier zahlte man nach 1800 vier Pfennige Weggeld. 1841 nennt sich die Abgabe vor der "Barriere am Gliesmaroder Turm" Chausseegeld für eine Meile.
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